Heute wollen wir autopoietische Systeme unterscheiden. Bin gespannt, wie uns das gelingt. Melkor bist Du da? Melkor? Er wollte jetzt hier sein. Und mit mir diskutieren, was psychische Systeme tun. Wie sie sich dadurch von anderen autopoietischen Systemen unterscheiden.
Dass er davon, was sie tun, noch keine rechte Vorstellung hat, hatte er mir gesagt.
Und dann sagte er noch, dass ich bitte bedenken soll, dass er, als Bewohner von Mittelerde, keine Ahnung von Niklas Luhmann hat.
Ok, ich versuche es. Einfach finde ich es nicht, einer Figur von Tolkien Unterscheidungen des Soziologen Niklas Luhmann zu erklären.
Psychische und soziale Systeme
Ja, was tun sie? An der Frage sollten wir uns orientieren, um sie unterscheiden zu können.
Und soweit ich das blicke, kommt es auch Luhmann darauf an.
Also darauf, dass es nicht nur autopoietische Systeme sind – so wie die biologischen – das natürlich auch und als Erstes.
Das haben wir uns ja schon genauer angesehen. Aber der nächste, entscheidende Schritt ist, glaube ich, sie dann auch sauber voneinander unterscheiden zu können.
Ok, Luhmann kommt also auf die Idee , dass man drei grundverschiedene Arten von autopoietischen Systemen unterscheiden kann.
Alle drei sind autopoietische Systeme, das ist ihnen gemeinsam. Sie erzeugen sich selbst, im Unterschied zu technischen Systemen, die jemand ersinnen und bauen muss, damit sie dann wie geplant funktionieren.
Aber sie, die Systeme, die sich ständig selbst erschaffen, tun das nicht aus dem Nichts heraus (ex nihilo). Sondern sie machen aus dem, was sie in ihrer Umwelt vorfinden, etwas ganz Eigenes, etwas, das es in ihrer Umwelt nicht gibt.
Biologische Systeme
Biologische Systeme sind damit beschäftigt, (winzige bis große) Organismen zu erzeugen. Lebewesen eben könnten wir auch sagen.
Jedenfalls erschaffen sie etwas (sich), das sich nicht in seiner Umwelt auflöst, sondern sich auf seine eigenen Beine oder Wurzeln stellen kann.
Und Tiere können sich in dieser Welt um sie herum auch bewegen.
Psychische Systeme sind autopoietische Systeme, die Gedankenbilder produzieren
Psychische Systeme tun etwas anderes. Sie sind damit beschäftigt, aus Reizen / Impulsen so etwas wie Gedankengebäude oder Vorstellungsbilder aller Art zu errichten. Vielleicht passt sogar Gedankenbilder am besten, fällt mir gerade ein.
Und dann sehen sie zu, nehme ich an, dass diese Bilder, oder von mir aus Gedankenbilder, sich nicht gleich wieder auflösen.
Das kenne ich, oh ja, das kenne ich. Und natürlich lösen sie sich trotzdem wieder auf.
So schnell kann ich immer gar nicht schauen, wie sich meine Wunschschlösser im luftigen Nebel auflösen.
Will sagen, so wie bei den Pflanzen und Tieren, dass man einfach immer weiter denkt und tut und sinniert, funktioniert es nicht. Jedenfalls nicht nur. Da ist noch ein Trick.
Stimmt, hast recht, ich dachte, ich könnte das herauslassen, um es schön einfach zu erklären. Aber ok, ja, es kommt noch was dazu.
Psychische Systeme machen sich ihren eigenen Reim auf ihre Welt. Sie formen, könnte man sagen, aus einfachen Reizmustern, klick-klick, klick-klick-klick … eigene Bild- und Gedanken-Muster voller Licht und Klang und Duft und kommentieren sie.
Aber das ist nicht alles, denn sie tun noch etwas ganz anderes: Sie beobachten sich selbst dabei und fragen sich zum Beispiel, wie das Gedankenbild, das gerade eben da war, zu einem anderen Gedankenbild, von vorhin oder von vorgestern passt. Oder ob das nicht Murks wird.
Ok, das ist es, genau.
Die Selbstzweifel.
Ich frage mich zum Beispiel manchmal, wie ich nur auf die Idee kommen kann, so etwas Blödes zu denken.
Ganz blöd wird es, wenn ich mich gerade super finde.
Dann kommt garantiert ein anderer Gedanke angeschlichen und lacht die Ich-bin-super Vorstellung schallend aus.
Soziale Systeme sind autopoietische Systeme, die ständig kommunizieren
Ok, das reicht erst mal, gehen wir lieber gleich zu den noch fehlenden autopoietischen Systemen.
Das wären dann die sozialen Systeme.
Soziale Systeme, um im Muster zu bleiben, sind ständig damit beschäftigt, ein Gespräch oder allgemeiner die gerade laufende Kommunikation am Laufen zu halten.
Und sie haben da ihre ganz eigenen Spielregeln. Also wir beide zum Beispiel jetzt. Ich erzähle Dir gerade was von Luhmanns sozialen Systemen. Und wenn Du jetzt mit „Käse“ antworten würdest, würde ich ins Stocken geraten.
Du willst mir jetzt aber nicht sagen, dass soziale Systeme aus Reden halten bestehen.
Oder von mir aus, um im Bild zu bleiben, aus Reden halten und ins Stocken kommen, weil jemand bei einem ganz anderen Thema ist.
Das wäre von mir aus so weit ok. Aber da muss noch was anderes sein.
Oder ich verstehe das Besondere an dieser Art von autopoietischen Systemen bisher nicht.
Nicht dass ich wüsste, oder warte, doch.
Du meinst vielleicht, dass sich ein Gespräch verselbstständigen kann.
Will sagen, dass es in eine Richtung geht oder dass dabei etwas herauskommen kann, dass keiner beabsichtigt hatte.
Oder jedenfalls nicht vorher wissen, geschweige denn planen konnte.
Ja, so etwas könnte es sein. Ich, Psyche, habe meine Vorstellungen und Du, auch Psyche, hast Deine Vorstellungen.
Aber das, was ich zu Dir sagen kann, drückt meine Vorstellungen nicht direkt aus, sondern eben in Worten.
Und bei Dir ist das genauso, nehme ich mal an.
Und dann gibt ein Wort das andere, dann stehen Sätze im Raum, zwischen uns, denen wir dann zuhören können und staunen.
So kann man es vielleicht sagen, ja. Kommunikationen müssen aus den Vorstellungen von psychischen Systemen etwas Eigenes machen.
Was anderes haben sie nicht. Es sei denn, sie nehmen die schon gesagten Worte und Sätze her und machen sie sozusagen dingfest.
Schreiben sie auf, oder malen einen Kreis auf – hier treffen wir uns morgen wieder, um weiter zu streiten. Symbole nennt Luhmann das. Auch Geld ist ein Symbol oder ein erhobener Zeigefinger.
Symbole (Buchstaben, Zahlen, Verkehrszeichen usw.) für etwas (ganz anderes) festzulegen, ist vermutlich eine sehr spezielle Methode von Kommunikationssystemen, um sich zu stabilisieren.
Aber wenn wir dieser Spur jetzt weiter folgen, sind wir mittendrin in den Spielregeln, die nur für Kommunikationssysteme gelten.
Wir wollten ja erst mal nur autopoietische Systeme, diese drei eben, klar voneinander unterscheiden:
- Biologische Systeme
- Psychische Systeme
- Soziale Systeme
Haben wir das jetzt geschafft? So, dass wir sie jetzt nicht mehr verwechseln oder vermischen?
Wozu ist das so wichtig?
Wieso das so wichtig ist, frag ich mich noch. Und komme drauf, dass Ich, Psyche, vermutlich eine ganz andere Antwort darauf habe als zum Beispiel irgendein soziales System.
Stopp mal, kann ein soziales System überhaupt „Ich“ sagen?
Also sagen sicherlich schon, aber es gibt ja niemanden, der das soziale System ist.
Niemanden, der Ich sagen könnte. Ein soziales System, so wie ich mir das jetzt vorstelle, funktioniert mehr oder weniger gut oder schlecht. Oder irre ich mich da?
Gute Frage, ich glaube, die heben wir uns für die nächste Runde auf. Aber was wir schon mal festhalten können ist, dass psychische Systeme auf jeden Fall „Ich“ sagen (denken, fühlen, stolz oder leidvoll empfinden) können.
Nicht nur können, sondern sie tun es ständig. Sie beziehen sozusagen immer alles (zumindest auch, nebenbei) auf sich selbst.
Was das, was sie gerade tun, für sie selbst heißt. Ob sie dazu überhaupt Lust haben, ob sie damit wirklich einverstanden sind, ob sie Stopp sagen, den Ablauf unterbrechen wollen oder ob sie das, was sie gerade erleben, an ihre Kindheit erinnert, an irgendeinen Duft, einen Klang.
Das läuft alles simultan mit, das geht, eingeschlossen oder dann doch ausgeschlossen, ein in das nächste Gedankenbild.
Das ist bei Systemen, die aus Kommunikationen bestehen, besser: sich durch Kommunikationen am Laufen halten, mit Sicherheit anders.
Sie würden sich in Chaos auflösen und tun es auch (Party-Geplänkel), wenn sie alles, was irgendwie auch noch zum Thema gehören könnte, mit besprechen würden.
Sie müssen – irgendwie zumindest – bei einem Thema bleiben, über das die beteiligten Psychen sprechen können.
Und statt zu sprechen, kann ein soziales System auch Symbole hin- und herschieben oder verteilen oder manipulieren. Wir können uns das gern genauer ansehen. Mein Vorschlag: Wir vertagen das auf die nächste Runde.
Na gut, ich seh’s ein. Wir vertagen das Thema. Du kannst dafür von mir aus auch einen anderen von uns zu dir in den Blog hier einladen. Ich werde ihnen erzählen, wie weit wir gekommen sind.
Nur noch eins – von mir:
Wenn ich mir das so vorstelle, dass es psychischen Systemen um etwas anderes geht als sozialen Systemen, dann kann es eigentlich für beide nur gut sein, wenn wir sie fein säuberlich auseinanderhalten. Wenn wir das nämlich nicht tun, verstehen wir nicht, warum sie ständig versuchen, ihre eigene Logik dem jeweils anderen aufzuschwatzen. Das aber gar nicht anders kann, als in seiner eigenen Logik zu bleiben.
Quellen / Autopoietische Systeme
- Text: Luhmann: Soziale Systeme
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