Psychische und soziale Systeme – darum geht es heute. Und dafür habe ich Eowyn hier her in den Blog eingeladen.
Was Melkor ihr und den anderen erzählt hat, weiß ich nicht, will ich nicht wissen und kann es nicht wissen.
Aber irgendetwas scheint Eowyn verstanden zu haben.
Sonst, ja sonst hätte sie, wie ich sie kenne, meine Einladung freundlich aber bestimmt ausgeschlagen.
Melkor hat recht, will ich gleich mal sagen.
Wenn psychische Systeme und soziale Systeme so grundverschieden sind, müsste es eine Katastrophe sein, dass wir sie ständig verwechseln. Warum tun wir es trotzdem? Und wo bleibt die Katastrophe? Oder bemerken wir sie nur nicht?
Angel: Ok, Psychen, also wir psychischen Systeme, sind unablässig damit beschäftigt, alles, was auf uns einstürmt, zu einem Bild zu vereinen, in dem wir uns orientieren können. Ob wir wollen oder nicht. Hunger, Lust, ein Pieksen im Zeh, Erinnerungen, Träume, Ärger, Freude, Angst, plötzliche Ideen, Wünsche.
Und dazu alles, was wir gerade wahrnehmen, Tiere, Pflanzen, Wetter, oder dass gerade jemand oder etwas zu uns sagt. Alles gleichzeitig und damit wir uns ein Bild machen können, müssen wir Analogisieren. Nach Ähnlichkeiten suchen, alles einander soweit ähnlich machen, dass wir es in ein Gedankenbild, Stimmungsbild, Handlungsbild – wie auch immer, bringen können.
Nur, Eowyn, wie viel bekommen wir davon mit? Also so, dass wir auch erleben, dass wir das sind, die ständig darauf aus sind, uns ein Bild zu machen von der Welt, in der wir handeln können? Und unruhig werden, wenn es uns nicht gelingt?
Gefühle?
Meine Gefühle bekomme ich auf jeden Fall mit. Und auch, dass es meine sind, dass ich sie „habe“ und dass das bei mir anders ist als bei Faramir oder bei Aragorn. Vielleicht wandle ich ja alles, was ich wahrnehme, in Gefühle um?
Angel: Gefühle als Signale, dass etwas wichtig für mich ist – ja, da könnte etwas sein. Genau, es sind unsere Gefühle, bei dir nicht anders als bei mir oder Aragorn oder Melkor, die Alarm schlagen, wenn etwas nicht stimmt, mit uns selbst, mit der Welt um uns herum oder mit unserem Körper.
Vor allem mit mir selbst, mit meinen Gedanken, Bildern, Vorstellungen, dass ich selbst sie als wirr erlebe, dass ich mich nicht mehr selbst orientieren kann. Wenn ich kein sicheres Gefühl mehr dafür habe, ob ich mir selbst vertrauen kann. Dass ich mir nicht verloren gehe, wenn ich die Wucht von anderen erlebe.
Was psychische und soziale Systeme gemeinsam haben
Vielleicht liegt es ja daran, dass psychische und soziale Systeme so viele Gemeinsamkeiten haben, dass wir sie im Grunde für dasselbe halten.
- Beide erschaffen und erhalten sich selbst, sind also ständig damit beschäftigt, wie sie weiter machen können.
- Beide sind – zumindest ausdifferenziert – an Menschen und deren Entscheidungen gebunden, während andere autopoietische Systeme auch bei Tieren und Pflanzen funktionieren.
- Und beide sind existenziell an Sprache gebunden, auch wieder: Es betrifft nur diese beiden.
Und schließlich, wenn wir den Beobachter dazu nehmen: Psychische und soziale Systeme sind paradigmatische Beobachtungssysteme. Sie können und müssen unablässig unterscheiden und, daraus folgend, entscheiden, was sie als Nächstes tun. Und das nicht nur gelegentlich, sondern ständig. Existenziell würde ich sogar sagen.
Sie sind genau das und nichts anderes: Unterscheidungen, die zu Entscheidungen führen. Entscheidungen, die nur sie selbst treffen können, denn immer geht es um die Frage, ob und wie sie weiter existieren.
Selbstreferenz und Fremdreferenz unterscheiden
Den letzten Punkt könnte man, genau genommen, vielleicht auch noch für die anderen autopoietischen Systeme annehmen. Deshalb nehme ich jetzt doch noch mal den Unterschied zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz dazu. Sperrige Begriffe auf den ersten Blick, aber genau genommen sehr einfach gestrickt. Referenz heißt ja nur so viel wie „sich auf etwas beziehen.“
Und hier bei unserer Frage jetzt hieße das, dass psychische und soziale Systeme nicht nur ständig entscheiden müssen. Das müssen alle autopoietischen Systeme. Jetzt aber, vermutlich mit Sprache einhergehend, kommt noch etwas ganz anderes dazu:
Psychische und soziale Systeme müssen, auch wieder ständig, entscheiden, ob sie sich als Nächstes auf sich selbst beziehen oder weiter im Text, also beim Thema machen wollen. Auch hier wieder werden sie – denke ich mir – danach entscheiden, was für ihre eigene Autopoiesis zweckmäßiger ist.
Ein Bifurkationspunkt, und je nachdem, geht es dann entweder bei der Selbstreferenz weiter oder bei der Fremdreferenz. Wenn wir uns das vergegenwärtigen, ist es kein Wunder, dass jahrtausendelang kein Mensch ernsthaft auf die Idee kam, sie zu trennen. Sie fielen halt beide unter die Rubrik „subjektiv“, „menschengemacht“ oder dergleichen. Im Gegensatz zu „objektiv“, „natürlich“ etc.
Und das „Ich“?
Psychische Systeme, wenn ich das richtig verstanden habe, was Du bislang besprochen und beschrieben hast, sind ja diejenigen Systeme, die Ich sagen und dabei sich meinen, meine ich. Aber mit dem Ich scheint mir das so eine Sache zu sein.
Ich zum Beispiel und ich bin keine Stille, sage „Ich“, andauernd sage ich Sätze mit „Ich“ und meine auch mich damit. Aber niemals würde ich verlangen oder sagen, dass ich Zeit für mich brauche, dass ich wichtig sei. Obwohl ich weiß, dass ich wichtig bin. Und ich glaube ziemlich fest, dass das bei den anderen auch so ist. Ausgenommen Melkor natürlich.
Ich aber und jede Wette auch Faramir, Aragorn, Gandalf, sagen immer und denken das auch so, unser Volk, die Menschen, die Elben, das Schicksal Mittelerdes – darauf kommt es an.
Darum geht es mir. Dafür bin ich da. Und gebe alles, was ich habe und bin, dafür her. Selbst mein Leben. Ist das hier auf der Erde anders?
Angel: Es ändert sich gerade, ja. Viele emanzipieren sich wild entschlossen, von allem. Was andere, auch viele, empört. Und einige versuchen Worte dafür zu finden, dass Menschen an sich selbst denken – nun – lernen. Müssen vielleicht noch, aber sie lernen auch schon. Die Weltretter ebenso wie die, die manche hier bei uns Egoschweine nennen. Ja, an sich selbst zuerst denken. Nein. Nicht an ihren Vorteil. An die Integrität ihres Charakters.
Stopp mal. Mit „Weltretter“ meinst du solche wie mich, das dämmert mir schon. Nur wieso ich lernen soll, an mich selbst, an meinen Charakter zu denken, leuchtet mir nicht ein. Bin ich, sind Weltretter wie ich in eurer Welt schlechte Menschen? Du brauchst nicht gleich den Kopf zu schütteln, Angel, genau so höre ich das, was du sagst. Stimmt etwas mit meinem Charakter nicht? Komm, hör auch zu lachen. So geht das nicht.
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